MIKIS THEODORAKIS
* 29. Juli 1925 – † 2. September 2021
Griechischer Musiker, Widerstandskämpfer, Dichter, Politiker
Es liegt mir am Herzen, diesen unfassbaren Menschen zu seine 100. Geburtstag zu würdigen. Denn obwohl es eine große Menge Bücher über ihn gibt, Filme und Dokumentationen, die seiner Weltberühmtheit, seinem großartigen Werk und seiner Botschaft gerecht werden – und sie sind heute problemlos im Internet zu finden -, so scheint mir doch, dass er nicht in das vielgerühmte „Kulturerbe“ eingegangen ist, zumindest nicht in unser westeuropäisches, ich meine nicht das institutionelle, sondern das der breiten Masse hier. Vermutlich, weil sein moralisch-politischer Anspruch zu hoch, seine Lieder seinerzeit zu beliebt und sein Widerstandsgeist bis zuletzt ungebrochen waren. Ich empfehle besonders, die Würdigung, welche die Schauspielerin und Sängerin Gina Pietsch ins Netz gestellt hat, zu lesen.
Den Durchbruch zur Weltberühmtheit erlangte Theodorakis 1964 mit seiner fulminanten Filmmusik zu „Alexis Zorbas“. Der Regisseur Alexis Cacojannis gab ihm den Auftrag dazu, weil er von den beiden in Griechenland bereits berühmten Lied-Zyklen „Epitaphios“ (Gedichte von Giannis Ritsos) und „Ballade vom toten Bruder“ (Gedichte von Theodorakis) überzeugt war.
Ich selbst habe erst recht spät in meinem Leben gewagt, mich seinen Liedern zu stellen. Angst vor seiner Größe und Widerwillen gegen die kultartige Mode, mit der er hier in den 1970er Jahren konsumiert wurde, waren die bedauerlichen Gründe. Und als ich am Beginn der 2000er Jahre den Lieder-Zyklus POLITEIA GAMMA als deutsche Uraufführung für die Bühne erarbeitete, war Theodorakis hier schon nicht mehr Garant für Konzerte mit einem tausendköpfigen Publikum. Anders als in Griechenland, wo seine Lieder heute noch gesungen werden. Aber als ich ihm unsere Demo-CD schickte, ermutigte er mich mit einem wunderbaren Brief zur Weiterarbeit. Und so kam es letztlich doch zu sehr inspirierten und gut besuchten Konzerten.
Nun kann ich zu meinem allergrößten Bedauern kein Theodorakis-Konzert mehr auf die Bühne bringen; aber, um anlässlich seines 100. Geburtstages doch ein wenig zu seiner Erinnerung beizutragen, plane ich, Lieder aus meinen alten Konzertmitschnitten auf meine Seite zu stellen. Aus POLITEIA GAMMA 2002, Konzerthaus Wien und Probeaufnahmen, mit Wolfgang Klein-Richter am Klavier, dann aus einem zu seinem 80. Geburtstag veranstaltetem Konzert 2005 im Domforum Köln mit Ioannis Zorpidis an der Gitarre und Epaminondas Ladas am Bouzouki und schließlich aus TA LYRIKA – THEODORAKIS GRÜSST DEN SCHATTEN CHE GUEVARAS, 2007 Konzertmitschnitte, mit Eleni Valentis (Gesang), Epaminondas Ladas (Gitarre, Bouzouki), Laia Genc (Klavier), Beate Starken (Cello) und Michael Küttner (Schlagzeug, Percussion).
Theodorakis war ein Riese und hat Riesenhaftes geleistet, geschaffen und bewirkt; menschlich, musikalisch, politisch. Er hat grauenvollen Verhältnissen Widerstand entgegengesetzt, wofür er viele Male mit Gefängnis, Verbannung und Konzentrationslager bestraft wurde und die Foltern nur knapp überlebte.
Er kämpfte während des 2. Weltkrieges im Untergrund als Mitglied der Kommunistischen Partei Griechenlands gegen die deutsche Besatzung. Nach dem Sieg über die deutsche Wehrmacht kämpfte er gegen die englischen Truppen, die nach einer Absprache zwischen Churchill und Stalin, dem griechischen Königshaus an die Macht verhalfen. 1944, als diese, die den demokratischen Wahlsieg der griechischen Widerstandsfront niederwalzten, von den griechischen Widerstandskämpfern verlangten, die Waffen zurückzugeben und sich zu Königin Friederike zu bekennen, begann der Bürgerkrieg. Er dauerte sieben Jahre und wurde erst nach dem Eingreifen amerikanischer Truppen zugunsten des Königshauses und im amerikanischen NATO-Interesse entschieden.
Theodorakis Werke sind getränkt von dieser bitteren Erfahrung, zu der auch Verrat, Opportunismus und Feigheit auf Seiten der Partei und des Volkes gehören. Leid und Schmerz sind in tausend Variationen Themen der Lieder, die ich von ihm kenne, immer mit der Haltung von Solidarität, Versöhnungswillen und mit Schönheit verbunden. Sei es in den Worten der Dichter, die er vertonte, sei es in seinen eigenen, sei es im Klang und den Melodien die trösten, sei es in rauen Rhythmen, die wachrütteln. Seine musikalische Kunst, die ich als Nichtmusikerin nicht adäquat würdigen kann, hatte aber auf Laien und Millionen von Menschen die Wirkung, als ob ein Blitz in ihr Leben einschlüge. Erhellung und Vertiefung, die auf Wesentliches verweisen.
Als er in den 1960er Jahren in Griechenland eine demokratische Kultur- und Jugendbewegung ins Leben rief und organisierte, ging es ihm darum, dass die Schönheit künstlerischer Werke bis ins kleinste Dorf bekannt und wirksam würden. Er selbst schaffte das mit Vertonungen von Gedichten, die sonst niemals unter das Volk gekommen wären. Giannis Ritsos zum Beispiel. Theodorakis liebte ihn schon als Gymnasiast so leidenschaftlich, dass er mit Mitschülern den Felsen, auf dem sie Ritsos‘ Verse lasen, den „Ritsos-Felsen“ tauften. Anfang der 60er Jahre, als er von seiner Ausbildung und Erfolgen als Musiker moderner Musik aus Paris nach Hause, nach Athen heimkehrte, vertonte er dessen „Epitaphios“, einem Werk über die blutige Niederschlagung eines Streiks 1936, mit Melodien, die der traditionellen Volksmusik, der byzantinischen Kirchenmusik und dem städitschen Rebetiko ähnelten. Er gebrauchte tonale Formen, Rhythmen und Instrumente, die die breite Masse kannte. So führte er auch das von der gebildeten griechischen Gesellschaft damals verpönte Bouzouki in seine Musik ein. Er schuf das von ihm so genannte Volkskunst-Lied und feierte damit Welterfolge.
Und doch sagt er: „Ich wollte immer nur die Schönheit zurückerobern, die mich als kleines Kind kennzeichnete“. Das Bild eines weißen Schiffes auf dem blauen Ozean – geheime Quelle für sein riesenhaftes Werk und die lebenslange Suche.
Wenn ich ihm heute nur annähernd gerecht werden will, so möchte ich das als eine Art Auftrag verstehen, Haltung zu propagieren. Nicht Meinung oder Anschauung, nicht Theorie, nicht Analyse. Die können richtig oder falsch sein, korrigiert oder erweitert werden. Die Haltung bestimmt, was wir daraus machen: wie wir der Welt gegenüberstehen. Von Mikis Theodorakis, seinem Leben und seinen Liedern können wir den aufrechten Gang lernen.
Aus dem Zyklus „Ballade vom toten Bruder“, einer frühen Auseinandersetzung mit dem griechischen Bürgerkrieg, ist der von mir übersetzte folgende Liedtext:
Sta perivolia – In den Gärten
Text und Musik (9/4-Rhythmus) Mikis Theodorakis
In den Höfen, den erblühten Gärten,
stell’n wir uns zum Tanz auf so wie einst.
Und, dich Tod, werden wir bitten,
mit uns zu trinken und zu singen.
Fass die Klarinette und die Flöte,
auch ich komm dann mit meinem kleinen Baglama,
ach, auch ich komm dann…
In des Krieges Feuer hast du mich genommen, Tod,
geh’n wir in die Gärten jetzt zum Tanz!
In den Höfen, den erblühten Gärten,
wenn ich dich besiege, Tod, beim Wein,
wenn ich dich beim Tanz besiege und Gesang,
dann schenkst du mir noch eine Lebensnacht!
Fass dein Herz dir, liebe Mutter!
Ich bin dein Sohn und kehr für einen Blick von dir zurück,
ach, für einen Blick…
Als ich an die Front ging, liebe Mutter,
konntest du nicht von der Arbeit weg,
alleine fuhr ich mit dem Zug aus meinem Leben.
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