"Daumenkritik: Fäuste geballt und hochgereckt. Beide
Daumen zeigen automatisch nach oben - ob sie sich nun
abgeknickt über die Zeigefinger legen oder nicht
entschlossenes Strecken bei leicht angewinkeltem Arm ...
Pathos und Theatralik sind nicht überall passend, doch hier gehören sie zur
Abrundung. Die Kompositionen von Mikis Theodorakis vertragen die großen
Gesten und die extrovertierte Präsentation - der Meister selbst backt keine
kleinen Brötchen.
Mischi Steinbrück, aus Wien stammende, in Köln lebende gelernte
Schauspielerin, hat sich mit Liederprogrammen als "die Steinbrück"
profiliert, auch wenn es längst nicht so viele am Kulturbetrieb Interessierte
mitbekommen haben, wie es Mischi verdient hätte.
Mischi steht in Briefkontakt mit Mikis. Sie legt ihm dar, wie sie dazu
gekommen ist, sich diese Lieder anzueignen, ohne sie Theodorakis
wegzunehmen - schließlich wirkt der ganze Liederzyklus wie durch des
Komponisten Genius inspiriert. So wie Mischi Steinbrück aus Briefen und
Musik, aus Prosatexten und Nachdichtungsansätzen ihr Theodorakis-Programm
verschachtelt hat, wie sie sich selbst zum wichtigsten
Bestandteil des Programms macht, ohne Theodorakis den Mittelpunkt
streitig zu machen, ist beeindruckend.
Sie zeigt mehr als bloße Gesangskunst.
Sie taucht in die Lieder ein, füllt sie aus mit ihrer eigenen Leidenschaft, die
genauso durchblitzt, wenn sie aus ihren eigenen Briefen zitiert und versucht,
dem großen Musiker und Freiheitskomponisten - einem ihrer drei "Heiligen" -
die Wandlungen und Verwandlungen der einstmals undogmatischen Linken
in Westdeutschland begreiflich zu machen. Und damit macht sie aus ihren
politischen Wurzeln kein Hehl. Es ist zu offensichtlich, dass sie an
politischen Veränderungen, die erfolgt sind, genauso leidet wie daran, das
andere Veränderungen ausgeblieben sind.
Den einfachen, den "kleinen" Leuten, die sich als Arbeiterinnen und
Arbeiter schwer verdienen müssen, was sie zum Leben brauchen, denen
fühlt sie sich mehr verbunden als der rot-grünen Schickeria, die nicht
deshalb Fahrrad fährt, weil es ökonomisch notwendig wäre, sondern weil
es als ökologisch korrekt propagiert wird: Die 68erin, die dem Zeitgeist mit
unerbittlicher Skepsis trotzt und nicht glauben will, dass Verbündete rar
sind. Aber was bleibt schon wie es war - inzwischen ist aus
Internationalismus "Multikulti" geworden.
Und doch jammert sie nicht nur, wenn auch der Inhalt der Lieder, die aus
der Vertonung zeitgenössischer griechischer Dichtung entstanden sind,
über weite Strecken aus Klagen besteht. Doch kein Wehklagen ohne
Erleichterung, und so kommt auch die aus aufbrechendem Trotz
erwachsende Lebensfreude nicht zu kurz - und singt die Steinbrück nicht
nur, sondem tanzt und lacht, dass es ansteckt. Die Arrangements von
Wolfgang Klein-Richter entlocken dem Klavier eine Begleitung, die
Bouzoukis erahnen lässt, ohne dass man sie vermisst. Beeindruckend."
WDR - Gerd Schinkel
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